Herausforderung

Aus der Praxis für die Praxis: Der Verband Fenster + Fassade (VFF) hat die zunehmende Komplexität des Bauens in einem Fachbeitrag – basierend auf den Erkenntnissen ausgewiesener Experten - in den Fokus genommen und nimmt sie speziell für den Fensterbau als große Herausforderung wahr.

 

Von Dr. Peter Christian Lang

Auf seinem Jahreskongress 2018 in Ulm hat der VFF, Frankfurt am Main, erstmals eine Serie von praxisnahen Impulsvorträgen mit anschließender Diskussion ins Programm aufgenommen. Die Referate erfahrener Fensterbauer und eines Juristen haben eine ausgesprochen gute Resonanz gefunden und sollen die Thematik im Rahmen dieses Beitrages einer noch breiteren interessierten Öffentlichkeit nahebringen.

Ganzheitliche Perspektive

VFF-Präsident Detlef Timm, Geschäftsführer der Hans Timm Fensterbau GmbH & Co. KG in Berlin, eröffnete die Reihe der Impulsvorträge. Er stellte zwei Thesen an den Beginn:

+ Wir helfen uns nur selbst und schaffen die Basis für einen fairen Wettbewerb, wenn wir den Architekten bei seiner Planung begleiten und auf dem Weg zur Ausschreibung unterstützen.

+ Leistungspositionen zur Baustellenlogistik (Zugang, Transport) und der Schutz unserer Leistungen gehören in jedes Leistungsverzeichnis.

Mit diesen kompakten Thesen verdeutlichte Timm: Erfolg kann nur aus ganzheitlicher Perspektive erzielt werden. Aus einer Perspektive also, die von vornherein das Zusammenspiel der Ansprüche und Kompetenzen von Bauherr, Architekt und Fensterbauer als Chance betrachtet. Dafür ist es sinnvoll, die drei wichtigsten Phasen im Bauen zusammenhängend, schlüssig und detailliert zu betrachten:

+ die Planungsphase,

+ die Ausführungsphase,

+ die Nutzungsphase.

In der Planungsphase sollten die Anforderungen möglichst genau geklärt werden, um dann eine eindeutige Beschreibung der gewünschten Leistung zu erstellen. Im Idealfall kann dies an einem Musterfenster umgesetzt werden.In der Ausführungsphase steht die hinreichend exakte Detailplanung in Form einer belastungsgerechten Konstruktion im Fokus. Diese Detailplanung muss dann fachgerecht in der Fertigung umgesetzt und montiert werden. Der Schutz der Leistung muss schließlich bis zur Übergabe gewährt werden. In der Nutzungsphase schließlich sollte eine regelmäßige Wartung erfolgen, die eine sachgemäße und unproblematische Nutzung über den gesamten „Lebenszeitraum“ der Fenster sichert. Die Wartung ist möglichst schon bei Vertragsabschluss, spätestens aber zur Abnahme zu vereinbaren. Mit diesem sorgfältigen, Schritt für Schritt aufeinander aufbauenden Vorgehen kann der Fensterbauer sicher sein, die Erwartungen von Auftraggeber und Architekt zu erfüllen, die Qualität seiner Bauelemente und ihrer Montage sicherzustellen sowie ihre dauerhafte Funktionstüchtigkeit durch regelmäßige Wartung zu gewährleisten – ein Gewinn für alle.

Erfolgsfaktor Bauleitung

Helmut Hilzinger, Geschäftsführer der Hilzinger Unternehmensgruppe im badischen Willstätt, ging in seinem Vortrag von neuerdings auch in unseren Breiten bekannten Extremtemperaturen aus, einer Folge des Klimawandels. Er erläuterte die daraus folgenden Probleme für die Baubarkeit von Fenstern und Fassaden und die resultierenden Notwendigkeiten von Planung, Bauleitung und Beratung. Auch Hilzinger stellte zwei Thesen an den Anfang:

+ Zunehmende Extremtemperaturen führen verstärkt zur Verformung von Fenster- und Rollladenprofilen. Besonders betroffen davon sind dunkle Oberflächen.

+ Ohne fachkundige Bauleitung vor Ort und entsprechendes fachkundiges Einwirken auf die Auftraggeber lassen sich Projekte in Zukunft nicht mehr fachgerecht und qualitativ hochwertig umsetzen.

Die Globalstrahlung – also die gesamte auf die Erdoberfläche horizontal auftreffende Sonnenstrahlung – betrug in Deutschland in der Vergangenheit durchschnittlich 135 W/m² (Watt pro Quadratmeter). Im Vergleich dazu lagen die Durchschnittswerte in heißeren Regionen wie zum Beispiel in Spanien bei 230 W/m² und in der Sahara bei 285 W/m². Wie stark sich diese solare Einstrahlung in den letzten Jahrzehnten im Rahmen des Klimawandels geändert hat, erkennt man daran, dass in Deutschland im Juli 2018 Werte bis zu 293 W/m² gemessen wurden. Auch die summierten Monatswerte sind 2018 deutlich angestiegen. Dies macht unter anderem der Ertrag der Solarkraftwerke deutlich: Im ersten Halbjahr 2018 haben sie Rekordernten mit einer Steigerung um rund acht Prozent eingefahren. Die Sicherstellung der Qualität erfordert einen angepassten Umgang mit dieser neuen Umweltsituation und ist eine der großen Herausforderungen für die Fensterbranche. Hilzinger zitierte dazu aus der der Technischen Richtlinie TR 121, herausgegeben vom Technischen Kompetenzzentrum des Bundesverbands Rollladen + Sonnenschutz e.V.: „Rollläden aus Kunststoff sind aufgrund ihrer Materialeigenschaften thermisch verformbar. Einwirkungen von hohen Temperaturen bei gleichzeitiger Gewichtsbelastung können zu dauerhafter Verformung führen.“ Betroffen von diesen Temperaturproblemen sind natürlich nicht nur Rollläden, sondern auch Fenster. „Alle Rahmenmaterialien stoßen diesbezüglich bereits an ihre Grenzen“, betonte Hilzinger und fuhr fort: „Jetzt schon bemerkbare Auswirkungen in der Praxis sind vor allem Undichtigkeiten aufgrund von Verformungen. Die zunehmenden Größen von Fenstern und ihrer Gewichte verstärken diese negativen Effekte zusätzlich.“ Seine Schlussfolgerung: Ohne fachkundige Bauleitung vor Ort lassen sich Projekte in Zukunft nicht mehr fachgerecht und qualitativ hochwertig umsetzen.

Dies macht zusätzliche Leistungen zu einer ganzen Reihe von Aspekten notwendig:

+ Beratung zu Gewichten;

+ Beratung zu umsetzbaren und vertretbaren Größen;

+ Aufzeigen von Alternativen;

+ Oberflächenauswahl;

+ Freigabe von CAD-Zeichnungen und Anschlussdetails;

+ Zeitpunkt der Montage;

+ Schutz des Gewerkes während der Bauphase.

Hilzinger illustrierte seine Forderung nach fachkundiger Bauleitung mit teilweise erschreckenden Bildern von Baustellen, auf denen mit den Fenstern die ersten Endprodukte in den Rohbau eingesetzt werden, oft noch vor dem Dach. Auch er betonte die Bedeutung des Schutzes der Leistung und machte sich für eine Position des Fensterbauers „auf Augenhöhe“ mit Bauherren und Architekten stark.In der folgenden Plenumsdiskussion zu den beiden ersten Impulsvorträgen wurde zum einen auf die verschiedenen Möglichkeiten hingewiesen, den Schutz der Leistung zu sichern. Als Beispiele wurden genannt die Vereinbarung der entsprechenden Passagen der VOB oder die Einbeziehung in die Allgemeinen Technischen Vertragsbedingungen (ATV). Zum anderen wurden zur Bestätigung beider Referenten weitere Beispiele vorgetragen, die zeigen, in welchem Ausmaß der Fensterbauer mehr und mehr auch als Planer beansprucht wird.

Chancen und Probleme von BIM

Einen Schritt weiter in die Zukunft des Bauens in Zeiten wachsender Komplexität ging Oliver Windeck, Geschäftsführer der Metallbau Windeck GmbH im brandenburgischen Kloster Lehnin.

Unter dem provokanten Titel „BIM oder KlimBIM - geht der Kelch an uns vorbei?“ machte er gleich zu Beginn deutlich, dass der „Kelch“ BIM (Building Information Modeling) mit Sicherheit nicht an der Fenster- und Fassadenbranche vorbeigehen wird, wenn auch – wie eine Momentaufnahme unter den Zuhörern zeigte – bisher noch eher ausnahmsweise schon mit BIM gearbeitet wird. Windeck präsentierte seine wichtigsten Botschaften zum Thema BIM gleich zu Beginn in vier Thesen:

+ BIM wird die Kommunikation und Dokumentation unserer Branche ver­ändern.

+ BIM wird ein kollaboratives Projekt aller Gewerke.

+ BIM wird (zwingende!) Entscheidungen weiter auf der planenden Ebene und damit auch an uns vorbei erfordern.

+ BIM kommt – ob wir wollen oder nicht.

Als verbindliche Grundlage für seine weiteren Ausführungen nannte Windeck die folgende BIM-Definition, die vom Arbeitskreis BIM des VFF erarbeitet wurde:

„Building Information Modeling (BIM) ist eine optimierte Planungsmethode für kollaborative Zusammenarbeit von Akteuren eines Bauprojektes und soll mithilfe digitaler Software die notwendigen Informationen erfassen, speichern und verarbeiten, um den Aufwand für Koordinations- und Kontrollaufgaben bei komplexen Aufträgen zu reduzieren. BIM ist aus Sicht der Fenster-, Türen- und Fassadenbranche eine Methode, die Informationen zu Bauprodukten über den gesamten Gebäudelebenszyklus von Planung, Design, Ausführung, Nutzung bis zur Entsorgung transparent und konsistent zur Verfügung stellen soll.“

Nun wird BIM nicht auf einen Schlag eingeführt. Man kann sich den Übergang zur Arbeit mit BIM in vier Phasen vorstellen, bis schließlich die BIM-Integration erreicht ist.

Die Chancen und Hürden erläuterte Windeck anhand einer weiteren Grafik. Vor diesem Hintergrund gab er einige Tipps, wie man mit dieser neuen Situation am besten umgeht:

+ Standards selbst setzen (Industrie-, Firmen- oder Projekt-Level);

+ Lernprozesse beginnen und Tools kennenlernen oder entwickeln;

+ Kollaborationen mit Konkurrenten oder Komplementärproduzenten eingehen;

+ Einführungsvorgehen planen und Erfolge messen.

Gegenüber den bisherigen Formen der Nutzung von 2D-CAD bei der Umsetzung von der Planung bis zum Einbau führt BIM zu einem veränderten Workflow, der einen deutlich höheren Aufwand in den frühen Planungsphasen erfordert, dann aber im Weiteren zu deutlichen Entlastungen führt. In der Einführungsphase von BIM kann das allerdings zu panikartigen Reaktionen führen, die mit der Rückkehr zur herkömmlichen CAD-Planung verbunden sind und somit den Gesamtaufwand – und das heißt die Kosten – vergrößern statt verringern. Wie verändert BIM nun die Arbeitssituation der Unternehmen? Welche neuen Aufgaben bringt BIM mit sich und welche nicht? Die Antwort darauf fasste Windeck in einer Grafik zusammen, die auch die zukünftigen Aufgaben und Nichtaufgaben der Branchenvertretung, also des VFF, mit einbezog. Abschließend griff Windeck seine Ausgangsthesen wieder auf und kam zu dem optimistischen, zugleich fordernden Schluss: „BIM kommt, ob wir wollen oder nicht, aber wir können es gestalten.“

Gutachter vor Gericht

Der Jurist Prof. Christian Niemöller, geschäftsführender Gesellschafter der SMNG Rechtsanwaltsgesellschaft mbH in Frankfurt am Main, nannte als Ausgangspunkt seines abschließenden Vortrag „Der Beweis mit Sachverständigen - die Aufgabe des Gutachters im Sinne der Zivilprozessordnung (ZPO)“ die zunehmende Komplexität des Bauens, die in unterschiedlicher Weise alle Referenten beschäftigte.

Im Blick auf diese wachsende Komplexität beleuchtete Niemöller nun eine daraus resultierende besonders problematische baurechtliche Konsequenz. Seine Ausgangsthese: „Der Sachverständige im Gerichtsverfahren wird oft zum Richterersatz – dies widerspricht dem Verfahrensrecht und entzieht den Streit der richterlichen Wertung.“ Dies spiegele sich in der wachsenden Macht von Gutachtern und Sachverständigen in Baurechtsverfahren, die häufig genug das Urteil präjudizierten, ohne dass der notwendige Dialog der Parteien und das selbstständige Urteil des Gerichtes noch genügend Raum erhalten.

Vor dem Hintergrund der im Zivilprozess möglichen Beweismittel analysierte Niemöller den Gegensatz zwischen der theoretisch festgelegten Rolle des Sachverständigen und der davon abweichenden Praxis.

In der Theorie gilt:

+ Der gesetzliche Regelfall ist die mündliche Erstattung des Gutachtens im Verhandlungstermin.

+ Der Sachverständige hat dem Gericht die zur Entscheidung nötige Sachkunde zu vermitteln.

+ Der Sachverständige ist nur zur Feststellung von Tatsachen einzusetzen.

+ Der Sachverständige kann zur Klärung eines Mangelsachverhalts nur mit der Beschaffung der hierfür maßgeblichen Kriterien für das Gericht beauftragt werden; die Bewertung „als Mangel“ obliegt dem Gericht selbst auf Basis der Expertise des Sachverständigen.

+ Der Sachverständige kann zur Auslegung eines Vertrages nur die tatsächlichen Grundlagen vermitteln (z.B. das Verständnis innerhalb des betroffenen Verkehrskreises).

In der Praxis sieht es jedoch häufig so aus:

+ Das Gericht ordnet regelmäßig den gesetzlichen Ausnahmefall – die schriftliche Begutachtung – an.

+ Der Sachverständige stellt Beweistatsachen fest und nimmt in seinem Gutachten oft eine umfangreiche Beweiswürdigung vor.

+ Sachverständige nehmen zudem - oftmals ungefragt - zu Rechtsfragen und/oder zur Bedeutung einzelner Vorschriften z.B. aus der VOB/B Stellung.

+ Manches Gutachten enthält bereits eine abschließende und gesamtfassende (quotale) Zuordnung von Verantwortlichkeiten.

+ Viele Gerichte übernehmen die Ausführungen des Sachverständigen zum Teil unreflektiert und unbearbeitet in das Urteil.

Um die eigenen Chancen gegenüber dem Sachverständigen vor Gericht besser wahrnehmen zu können, empfahl Niemöller zum Abschluss seines Referates folgendes Vorgehen:

+ Formulieren von (kritischen) Fragen im Rahmen eines Schriftsatzes an den Gerichtssachverständigen – gegebenenfalls mithilfe eines „eigenen“ Sachverständigen.

+ Befragung des gerichtlichen Sachverständigen im Rahmen eines Verhandlungstermins – gegebenenfalls unterstützt durch den „eigenen“ Sachverständigen.

+ Im Einzelfall förmliche Ablehnung des Sachverständigen, zum Beispiel wegen Befangenheit, wenn Veranlassung besteht, an seiner Neutralität zu zweifeln. |

 

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